Donnerstag, 21. Oktober 2010

Der "Fall Genua"












Am 12. Oktober 2010 haben vermummte "Anhänger" der serbischen Nationalmannschaft in Genua einen Spielabbruch in der EM-Qualifikation zwischen Italien und Serbien verursacht. "Nur mit einer Kalaschnikow hätte man diesen Block noch einmal ruhig bekommen", meinte der italienische Verbandspräsident Nicchi. Bereits im Vorfeld der Partie war es zu Krawallen in der Innenstadt gekommen, wurde der Keeper der Serben dermaßen eingeschüchtert, dass er auf einen Einsatz verzichtete.


Wieder einmal steht der Fußballsport in seiner derbsten und brutalsten Facette in den Medien, diesmal - und das verschafft ihm diesen Blogeintrag - unter direkter Balkan-Beteiligung. Die Bilanz der Randale in Genua: 17 Festnahmen und 35 weitere Anzeigen, dazu natürlich die Ächtung der europäischen Fußballwelt gegenüber den serbischen Hooligans und die zu erwartenden Sanktionen durch die UEFA für das Nationalteam.

Doch was hat zu den Ausschreitungen geführt? Nach Aussage des italienischen Verbandes war die Kommunikation und Kooperation zwischen serbischen und italienischen Organisatoren mangelhaft. Der serbische Verband verwies jedoch auf eine Warnung vor vierhundert gewaltbereiten Fans auf dem Weg nach Genua, die Ordnungsbehörden stoppten diese jedoch nicht, wie es anderswo - zum Beispiel in England oder Deutschland - üblich ist.

Nach dem "Fall Genua" wird der serbische Fußball natürlich anders wahrgenommen werden, jedes Spiel wird unter besonderer Beobachtung stehen. Für Medien und Politiker "starb der serbische Fußball in Genua", war von "politischer Sabotage" die Rede: "Offensichtlich will jemand beweisen, dass Serbien weder bereit noch reif für Europa ist", so ein Mitarbeiter des Innenministeriums. Ob es sich bei den Hooligans nun um bezahlte Gewalttätige im Umfeld anti-europäischer und nationaler Kreise handelt, oder um Gewalt der Gewalt wegen: Das hat mit Sport nichts mehr zu tun!

Es bleibt zu hoffen, dass alle beteiligten Organe derartige Gewaltausbrüche in Zukunft verhindern können. Jegliche Bestrafung der serbischen Nationalmannschaft trifft sicherlich die Falschen und könnte derartige Ereignisse sogar befördern. Man darf solchen Menschen nicht signalisieren, dass sie mit ihrem Verhalten Erfolg haben können!

Dienstag, 19. Oktober 2010

Krieg, Frieden und Religion

*Hust* Erstmal kräftig den Staub wegpusten...

Hallo und Willkommen zurück in meinem Balkanblog! Gestern hat das neue Semester begonnen und ich dachte mir, dass ich den neuen Bloggern etwas Gesellschaft leiste und mein Blog an dieser Stelle weiterführe. Demnächst gibt es an dieser Stelle also wieder Beiträge in loser Reihenfolge rund um die Themenfelder "Balkan" und "Islam", diesmal aber ergänzt durch die Schlagwörter "Krieg" und "Frieden".

Der erste Seminartag brachte vor allem die Frage nach der Vernetzung der beiden letztgenannten Aspekte mit dem Thema "Religion". Uns allen ist klar, dass diese Themenfelder zusammenhängen. Dennoch war es schwer, direkte Beziehungen herzustellen. Frei von allen persönlichen Hemmschuhen und Vorbehalten ließen sich in unserer Gruppe folgende Beziehungen feststellen:

  • Religion dient oft als Ursache oder Vorwand für Krieg
  • Religion hat gleichsam einen Frieden stiftenden Anspruch
  • Krieg kann die Bedeutung von Religion verstärken (sowohl individuell, als auch kollektiv)
  • Frieden kann die Bedeutung von Religion schwächen (sowohl individuell, als auch kollektiv)
  • Sowohl Frieden als auch Krieg sind Kernelemente der Religion
  • Religion kann Krieg als Mittel der Bekehrung einfordern

Für mich persönlich - und damit stand ich Merles Position sehr nahe - ergibt sich in diesem Themenfeld folgende These, die ich schon öfter in Gesprächen eingenommen habe und die gestern im Seminar erneut angedacht wurde:

Sobald Religionen für sich einen Alleinvertretungsanspruch beanspruchen, sich also als die einzig wahre und richtige Glaubensgemeinschaft und anderen übergeordnet auffassen, ist eines ihrer Mittel zur AbGRENZung von Andersgläubigen die Ausübung von Gewalt.

Eine friedliche Koexistenz von Religionsgemeinschaften war in der Geschichte nicht die Regel und auch in der Gegenwart hat der 11. September 2001 - oder besser gesagt die amerikanische Reaktion auf diese Tragödie - erneut diese "Illusion" beiseite gewischt und für eine Verschärfung der religiösen Spannungen gesorgt. Unternimmt man einen Streifzug durch die Geschichte, dann ist Religion immer und immer wieder Ausgangspunkt oder Legitimation für militärische Konflikte. Gerade in Bezug auf die drei großen religiösen Traditionsgeflechte (Volkhard Krech) Juden-, Christentum und Islam lassen sich viele Beispiele finden und es ist durchaus möglich, dass auch Hindu- und Buddhismen sowie die südostasiatischen Religionen trotz verstärkter Wahrnehmung als friedlichere Religionsgemeinschaften zum Mittel der Gewalt gegriffen haben, dies tun und auch in Zukunft machen werden. Um die These, die hier und heute auch nur eine These bleiben wird, weiterzuführen:

Je größer der Alleinvertretungsanspruch einer Religion ausgeprägt ist, umso intensiver wird ihre AbGRENZung gegenüber anderen Religionsgemeinschaften durch Konflikt und Gewalt geprägt sein.

Soviel für heute von mir! Über Kommentare würde ich mich wie immer sehr freuen, auch die "Neuen" brauchen sich da nicht mit ihren Ansichten zurückhalten!

Freitag, 30. Juli 2010

Ein Ende kann auch ein Anfang sein

Nach dem sehr angenehmen, leckeren und langen Freitag bei al-shaaq ist das Sommersemester Vergangenheit und auch das Seminar, um das es in diesem Blog ging, ist nun vorbei. Zeit einen Schlußstrich zu ziehen? Jein. Zeit für ein Fazit? Auf jeden Fall!

Kommen wir zuerst zum Fazit. Eines für das Blog könnte so lauten: Viele Ansätze, viele Ideen, einige Umsetzungen, aber noch viele lose Enden. Was ich nicht alles vorgehabt habe! Irgendwie habe ich das Gefühl, mit nichts fertig geworden zu sein, was ich mir vorgenommen habe. Mein Geschichtsrückblick - versackt. Teil zwei der privaten Balkanerlebnisse - nie verfasst. Ein eigener Beitrag zur Nationalismusdebatte - nicht da. Und so geht es weiter. Mein persönliches Blogfazit lautet daher: Es war mehr drin. Aus Sicht des Seminars und dessen Vorgaben liege ich aber mit der Aktivität des Blogs in der gewünschten Norm. Dadurch kann ich mich also etwas entspannen! :-)

Womit ich bei meinem zweiten Fazit bin. Die Veranstaltung zu Islam und Balkan war ohne Frage die bisher kreativste, unvorhergesehenste, diskussionsreichste und auch - was persönliche Bekanntschaften und Interaktion angeht - die persönlichste Veranstaltung in meiner schon etwas länger andauernden Studienzeit. Daher ein ganz dickes Lob an Stefan und alle anderen Teilnehmer! Auf der anderen Seite habe ich immer noch das Gefühl, dass vieles nur angekratzt wurde, dass viele lose Fäden nun unverbunden im Raum stehen. Waren einige Seminartage konkret, so endeten einige mit netten Gesprächen und Diskussionen, aber ohne wirkliches Ergebnis. Ergebnissicherung war damit natürlich schwer, aber braucht man das überhaupt?

Wenn das Seminar eines bei mir erreicht hat, dann ist das a) eine Vertiefung des Interesses an der Region und b) eine Bestätigung über einen nur allzu menschlichen Sachverhalt: Man lernt nie aus! Das Ende des Seminars ist damit also nicht gleichbedeutend mit der "ich habe nun alles erfahren, was ich wissen muss, also nächstes Thema"-Manie vieler BA-Studiengänge. Wer das erwartet hat, der war sicherlich falsch. Vielmehr wurden Reizpunkte gesetzt, Interesse geweckt und Ansatzpunkte für neue, tiefergehende Überlegungen geschaffen. Im Sinne der verschulten Studiengänge wohl nicht das gewünschte Resultat. Im Sinne von "Wissen schaffen" ein möglicher Startschuß für eine wissenschaftliche Schwerpunktbildung.

Meine persönliche Bewertung des Seminars ist absolut positiv: Ich habe sehr nette Menschen kennengelernt und hoffe, den ein oder anderen Kontakt halten zu können. Ebenfalls konnte ich viele neue Erfahrungen machen und Informationen sammeln, die ohne diese sehr intensive Form des Seminars nicht möglich gewesen wäre. Einige Erkenntnisse der Anfangszeit kann ich nun neu einordnen und überdenken, andere Ansätze haben sich verfestigt. Ohne Frage ist die Region Balkan nun in meiner persönlichen Mindmap fest verankert. Zu guter Letzt im Fazit nun die Antwort auf die Frage, wo der Balkan beginnt! Gespannt? Der griechische Vorsitzende meines Vereins beantwortete die Frage sehr einfach: Alles südlich der Donau ist Balkan. Er als Grieche also auch. Wenn das nur mal so einfach wäre... Aber wer weiß, vielleicht ist es einfach. Diese Aussage wird mir aus einer bestimmten Ecke wieder einen Nierenhieb versetzen, aber das kann ich ab. :-)

Vielen Dank an euch Alle für angenehme Stunden! Ich wünsche Euch für Eure zukünftigen Studien und Projekte alles erdenklich Gute und hoffe, mit dem ein oder anderem in Kontakt zu bleiben!

Ob ich an dieser Stelle weiter zum Balkan blogge ist derzeit noch offen. Wer aber mehr von mir lesen mag, auch zu ganz anderen Themen, der ist herzlich eingeladen, sich mal unter www.kannix.eu umzuschauen!

In dem Sinne: Macht et jut!

Liebe Grüße, Thomas

Mittwoch, 14. Juli 2010

Serbien <-> Kosovo: Tut sich was?

Die Onlineausgabe meiner Tageszeitung, wie auch viele andere Medien, meldete am 09. Juli folgendes:
Serbien will Gebietstausch mit Kosovo

Zur Lösung des Konflikts um den seit zwei Jahren unabhängigen Staat Kosovo will Serbien nach einem Medienbericht einen Gebietstausch anbieten. Das berichtete die serbische Zeitung «Blic» unter Berufung auf entsprechende Bemühungen der Regierung.



Danach solle der Norden Kosovos mit seiner serbischen Bevölkerungsmehrheit Serbien angegliedert werden. Im Gegenzug solle Kosovo Teile des Presevo-Tals erhalten, das im Süden Serbiens an der Ostgrenze zu Kosovo liegt. Dort stellen die Albaner mit 80 Prozent die Mehrheit.

Nach Darstellung der Zeitung will Serbien bei der EU, den USA und den UN dafür Unterstützung erhalten. Diese Initiative beinhalte auch, dass die mittelalterlichen serbischen Klöster im Kosovo unter international kontrollierte Verwaltung der Serbisch-Orthodoxen Kirche gestellt werden. Als Gegenleistung will Serbien Kosovo die bisher verweigerte Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen ermöglichen.

Dieser Schritt Serbiens werde nach dem für Ende Juli erwarteten Urteil des Internationalen Gerichtshofes (IGH) in Den Haag erwartet, heißt es in dem Bericht weiter. Serbien hatte bei diesem höchsten UN-Gericht Klage gegen die Selbstständigkeit seiner früheren Provinz Kosovo eingereicht. Das fast nur noch von Albanern bewohnte Kosovo ist bisher von mehr als 60 Staaten anerkannt worden. Darunter sind alle großen EU-Länder, die USA, Kanada, Japan, die Türkei und Saudi Arabien.

Es schaut also so aus, dass Serbien kein positives Votum durch den Internationalen Gerichtshof erwartet und stattdessen versucht, einen der größten Brocken auf dem Weg zu einem unabhängigen Kosovo diplomatisch aus dem Weg zu räumen. Damit reagiert Belgrad auch auf die Stationierung kosovarischer Polizeieinheiten in serbisch bewohnten Gebieten des Kosovo. Während Serbiens Präsident Boris Tadic offenbar auf eine Kompromisslösung aus ist, bezeichnet Hashim Thaci, der Regierungschef des Kosovo, neue Verhandlungen als unnötig: "Das Thema ist ein für alle Mal abgeschlossen".

Ich muss ehrlich sagen, dass mich das Entgegenkommen Serbiens überrascht. Auf die erkennbare Provokation des Kosovo durch die Stationierung von Polizeieinheiten reagiert Belgrad nicht mit Gegenprovokation. In meinen Augen ein Schritt in die richtige Richtung! Man darf auch hier gespannt sein, was die Zukunft bringt. Wichtig ist dabei vor allem, dass sich kein neuer militärischer Konflikt entzündet, der wiederum zu einem Flächenbrand werden könnte.

Balkan goes World Cup - Part IV: Adio Südafrika

Mit dem Endspiel am vergangenen Sonntag und der Krönung des neuen Weltmeisters Spanien endete die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika. Für die Balkannationen war es letztlich mehr ein "dabei" statt ein "mittendrin". Griechenland, Slowenien und auch das ambitionierte Serbien scheiterten in der Gruppenphase. Betrachtet man jedoch die in der Qualifikation knapp gescheiterten Bosnien-Herzegovina und Kroatien, dann hat der Fußball auf dem Balkan eine eindeutige Duftmarke gesetzt. Wo waren denn die Skandinavier diesmal? Oder die ehemaligen Sowjetrepubliken? Wo war das östliche Mitteleuropa? Richtig: Sie haben sich allesamt nicht qualifiziert (nimmt man jetzt mal Dänen und Slowaken etwas aus dem Blickfeld). Keine Schweden, keine Norweger, keine Russen, keine Ukrainer, keine Tschechen, keine Polen. Dafür aber Griechen, Slowenen und Serben. Darauf kann die Region stolz sein!



Es bleibt jedoch, wenn ich an meine kleine Utopie im WM-Vorfeld denke, der Beigeschmack, dass der Balkan eine viel größere Rolle im Weltfußball spielen könnte, wäre die territoriale Fragmentierung der Region unterblieben. Der Tennis-Davis-Cup hat jedoch auch gezeigt, dass die Prestigeduelle untereinander - wie jüngst der serbische Sieg über Kroatien - zu einer gegenseitigen Steigerung der sportlichen Leistung führen können. Ein Grund für die hervorragenden Leistungen der jugoslawischen Nachfolgestaaten könnte somit die geschaffene Konkurrenzsituation sein: "Besser sein als die Nachbarn" als sportliches Konjunkturpaket, sozusagen. Aber zurück zur Utopie: Sie ist eben das, was sie ist. Jugoslawien ist vergangen, jede Nation kämpft für sich um Anerkennung auf vielerlei Ebenen. Eben auch sportlich!



Während in Griechenland also die Ära Rehhakles endet, sich in Serbien Radomir Antic gegen seine Sperre wegen unsportlichen Verhaltens wehrt und in Slowenien das "wir waren dabei" als Erfolg gewertet wird, darf man weiterhin gespannt sein, was die Balkanregion in Sachen Sport in naher Zukunft zu bieten haben wird. Nach der WM ist vor der EM, die Qualifikation beginnt bereits in einem Monat. Die Türkei (so man sie zum Balkan zählt) trifft in der Gruppe A auf Deutschland, Slowenen und Serben müssen in der Gruppe C gegen Italien antreten, Rumänen und Albaner treffen in der Gruppe D auf Frankreichs Skandaltruppe, Moldawien hat die Niederländer vor der Nase in Gruppe E, Griechen und Kroaten haben in ihrer leichten Gruppe F am ehesten Israel zu fürchten und letztlich treffen Bulgarien und Montenegro in der Gruppe G auf England.



Schauen wir mal, wie sich der Fußball auf dem Balkan in Zukunft entwickelt!

Adio, Südafrika!


PS: Die WM-Impressionen zwischendrin sind Bilder vom WM-Public-Viewing vor dem Kultucafe und mir dankenswerterweise von Liliya zur Verfügung gestellt worden.

Srebrenica 1995-2010

In diesen Tagen jährt sich das Massaker von Srebrenica zum 15ten Mal. Bis zu 8.000 vorwiegend bosnisch-muslimische Einwohner der UNO-Enklave wurden Mitte Juli 1995 durch das Drina-Korps der serbisch-bosnischen Armee unter Führung von Ratko Mladic hingerichtet. Auch die Anwesenheit niederländischer Blauhelme konnte die Tragödie nicht verhindern. Ihnen fehlten sowohl militärische Mittel, als auch humanitäre Courage. Ein Bombardement, das den Vorstoß der Milizionäre hätte stoppen können scheiterte: Die Zielliste für den Angriff konnte wegen eines defekten Faxgerätes nicht rechtzeitig weitergegeben werden, anschließend war das Geschwader bereits auf dem Rückweg und das Drina-Korps in der Stadt. Verhandlungen scheiterten durch Naivität und Paragraphenreiterei auf der einen, durch Kaltblütigkeit und Lüge auf der anderen Seite.



Niemand stoppte den größten Massenmord nach dem Zweiten Weltkrieg. Erst Ende des Monats debattierte der Weltsicherheitsrat über die "Wiederherstellung" der Schutzzone von Srebrenica - Beweise für die Exekutionen lagen laut des Sebrenica-Berichts der Vereinten Nationen von 1999 nicht vor. Das holländische Blauhelmkontingent rückte aus Srebrenica ab und wurde - man mag es in der Retrospektive kaum glauben - daheim gefeiert und durch Regierung und Königshaus begrüßt. Erst später schlug die Stimmung um, die niederländische Regierung stolperte im Zuge der Aufklärung 2002 über ihren im Nachhinein fragwürdigen Umgang mit dem Massenmord von Srebrenica. Während einige seiner Gefolgsleute durch das UN-Kriegsverbrechertribunal verurteilt wurden, ist Ratko Mladic weiterhin untergetaucht. Anstelle eines "korrekten Angriffs" und einer "hervorragend geplanten Militäroperation" (Oberstleutnant Karremans) steht Srebrenica heute als Chiffre für einen geplanten und systematisch durchgeführten Völkermord.



Im Gedenken an die vielen tausend Opfer der Tragödie von Srebrenica.

Wer mehr erfahren will, der findet einen guten Überblick hier:

Ihlau, Olaf u. Mayr, Walter: Die Tränen von Srebrenica, in: Dies. (Hg.): Minenfeld Balkan, Der unruhige Hinterhof Europas, München 2009

Dienstag, 15. Juni 2010

Reisende und Reiseberichte

Nach der Stadt nun also Reiseberichte. Da fallen mir spontan verschiedene Arten von Erlebnisberichten ein, die mehr oder weniger wissenschaftlichen Anspruch haben. In erster Linie natürlich private Schilderungen einer Reise, wie ich es in diesem Blog schon mit unserem Kroatien-Urlaub 1989 unternommen habe. Wissenschaftlich natürlich ohne Belang. Das sieht schon anders aus, wenn berühmte Menschen eine Reise tun. Gerade in Zeiten geringerer Mobilität war es eine große Anstrengung, fremde Gefilde persönlich zu besuchen und die Erlebnisse für die Daheimgebliebenen festzuhalten, denen die Gelegenheit für ein solches Abenteuer meistens nicht vergönnt war. Ich denke man kann diese in verschiedenen - allen? - wissenschaftlichen Fachrichtungen finden. Während Goethe oder Fontane in erster Linie literarisch an diese Aufgabe gingen, lag der Schwerpunkt von Humboldt und anderen Naturwissenschafltern in der Beschreibung biologischer oder geographischer Begebenheiten.

Natürlich gibt es auch historische Reiseberichte. Mir fallen da spontan als schöne Beispiele die Entdeckungsreisen ein: Kolumbus, Magellan, Vespucci und wie sie alle hießen, alle hatten ihre Forscher und Wissenschaftler an Bord, die ihre Abenteuer und Entdeckungen für die interessierte Heimat und damit für die Nachwelt festhielten. Aus meiner Seminararbeit zur kanadischen Geschichte kann ich von Jacques Cartier und Samuel de Champlain erzählen, die die Entdeckung und Erschließung des späteren Kanadas portraitieren. Absolut lesenswert, wenn man sich dafür interessiert! Ein weiteres weit verbreitetes Beispiel sind die Reisen Marc O'Polos. Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr könnte ich nennen. Durch die Beobachtungen dieser Menschen, die sich über ihren eigentlichen Aufgabenbereich hinaus für alles in der fremden Umgebung interessierten und sehr interdisziplinär tätig waren, prägten sich Menschenbilder. Viele der heutigen Klischees gegenüber fremden Kulturen stammen aus der Kolonialzeit, in der sich Europäer die fremden und unbekannten Kontinente und deren menschliche und tierische Einwohner erschlossen. Natürlich sind auch religiöse Berichte zu erwähnen, unter anderem von Eliade oder van der Leeuw und und und...

Im Prinzip geht es immer darum, eine fremde und dadurch attraktive Umgebung oder ein reiz- und eindrucksvolles Erlebnis zu beschreiben, festzuhalten und wissenschaftlich zu verarbeiten. Die Erkenntnisse unterliegen dabei natürlich immer subjektiven und perspektivischen Rahmenbedingungen, eine Quellenkritik ist also immer notwendig. Ähnlich wie bei der Montagsdiskussion um die Bektashi auf dem Balkan sind wir da wieder bei hierarchischen Aspekten: Wer berichtet über wen, auf welche Weise, warum gerade in dieser Form und so weiter. Auch unser Thema vom Beginn des Seminars, also GRENZen, AbGRENZungen, EinGRENZungen usw. erhalten beim Thema Reiseberichte wieder Aktualität. Die wissenschaftliche Relevanz ist also immer im Einzelfall zu beurteilen. Es gibt keine pauschale "Wertigkeit" einer Reiseberichterstattung!

Auch in der Moderne haben sich diese Berichte nicht erübrigt. Jeder Urlaubsratgeber schickt seine Mitarbeiter vor, um eine bestimmte touristische Umgebung zu beschreiben und im besten Licht darzustellen. Natürlich mit dem Ziel, den geneigten Touristen schon vorab auf den geplanten Urlaubsort einzustimmen. Sicherlich haben auch unsere Nationalspieler vom DFB eine Broschüre zum Thema Südafrika bekommen und dabei von den Menschen profitiert, die das für sie vorbereitet haben. Es fällt also wirklich schwer, das Ganze zu systematisieren: Wenn jemand eine Reise tut und das Erlebte in irgendeiner Form festhält, dann entsteht ein Reisebericht. Welche Aussen- und ggf. Massenwirkung diese dann erhalten, hängt immer von ihrem Verfasser und dessen Hintergrund ab. Meine Kroatienerzählung lesen hier vielleicht zehn Menschen. Wenn Hape Kerkeling den Jakobsweg schildert, dann lesen das Millionen!

Ein wirklich interessantes und weites Thema, das du da anschneidest, Stefan. Ich bin schon gespannt auf den wohl bekanntesten Reiseberichterstatter des Osmanischen Reiches. Und um auf deine letzte Frage zu kommen, wer sowas denn lesen würde: Bewusst die wenigsten, unbewusst alle Menschen. Man kann sich Reiseberichten gar nicht entziehen! Sie sind überall, in jeglichen Medien, selbst im Freundeskreis in der kleinen, netten Dia- oder Photorunde werden immer wieder Reiseberichte zum Besten gegeben. Eine Unterscheidung fällt mir eben noch ein: Es gibt reale und fiktive Reiseberichte. Die nächtliche Reise des Propheten Mohammed nach Jerusalem und der Exodus des Volkes Israel aus Ägypten kommen mir da ebenso in den Sinn, wie die Meuterei auf der Bounty oder Dumas' Reise zum Mittelpunkt der Erde. Ohne das man das jetzt in irgendeiner Form vergleichen kann, hoffe ich trete da gerade keinem auf die Füße.

Ein sehr weites Feld und ich höre nun besser auf, mich damit hier im Blog zu befassen. Mir kommen immer neue Ideen, ein Faß ohne Boden. Freue mich wie immer über Kommentare, bis dann!